Anwaltskammer muss Auskunft über Rücknahme der Zulassung von Markus Pretzell (AfD) geben, OVG NRW (Beschl. v. 03.05.2017, Az. 15 B 457/17)
Artikel: Warum AfD-Chef Pretzell keine Anwaltszulassung mehr hat
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 03. Mai 2017
– 15 B 457/17 –
Presserechtlicher Auskunftsanspruch einer Journalistin gegenüber Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammer - hier: Weiterleitungsbefugnis der Kammer bejaht
Leitsatz
Bei der personenbezogenen Verschwiegenheitspflicht des § 76 Abs. 1 BRAO für die Mitglieder des Vorstands der Rechtsanwaltskammer und Personen, die Aufgaben der Kammer für den Vorstand wahrnehmen, handelt es sich nicht um eine auf Bundesrecht beruhende Geheimhaltungsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW (juris: PresseG NW).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 5. April 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Journalistin. Sie begehrt von der Antragsgegnerin, einer Rechtsanwaltskammer, bestimmte Auskünfte über die Löschung der Zulassung des Beigeladenen als Rechtsanwalt. Der Beigeladene ist Sprecher des Vorstands des Landesverbands NRW der AfD und Spitzenkandidat dieser Partei bei den Landtagswahlen am 14. Mai 2017.
Nachdem die Antragsgegnerin die Erteilung der Auskünfte unter Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht nach § 76 Abs. 1 BRAO abgelehnt hatte, hat die Antragstellerin am 7. Februar 2017 Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Mit Beschluss vom 5. April 2017 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag im Wesentlichen stattgegeben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin folgende Fragen zu beantworten:
1. Seit wann besitzt der Beigeladene keine Rechtsanwaltszulassung der Rechtsanwaltskammer mehr?
2. Ist die Rechtsanwaltszulassung des Beigeladenen nach § 14 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zurückgenommen worden, wurde sie widerrufen, weil der Beigeladene nach § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO auf sie schriftlich verzichtet hat, oder fand der Widerruf aus einem anderen Grund nach § 14 Abs. 2 BRAO statt?
3. Aus welchen der in §§ 14 Abs. 1, 7 Nr. 1 bis 10 BRAO genannten Gründe wurde die Zulassung des Beigeladenen zur Rechtsanwaltschaft ggf. zurückgenommen bzw. aus welchen der in §§ 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 bis 9 BRAO genannten Gründe wurde die Zulassung ggf. widerrufen?
Die Antragstellerin habe mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Auskunftsanspruch aus § 4 Abs. 1 PresseG NRW, der entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und/oder Nr. 3 Alt. 2 PresseG NRW ausgeschlossen sei. Angesichts der am 14. Mai 2017 stattfindenden Landtagswahlen bestehe darüber hinaus eine besondere Dringlichkeit hinsichtlich der Informationsgewährung, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigte.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.
Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die dem zugrunde liegenden Erwägungen werden durch die von der Antragsgegnerin erhobenen Einwände nicht durchgreifend in Frage gestellt.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass das Verwaltungsgericht einen Anordnungsanspruch zu Unrecht bejaht hat. Die Antragsgegnerin zieht nicht in Zweifel, dass sich die Antragstellerin im Grundsatz auf den Auskunftsanspruch aus § 4 Abs. 1 PresseG NRW berufen kann. Allerdings meint sie, diesem Anspruch stünden Ausschlussgründe nach § 4 Abs. 2 PresseG NRW entgegen. Das trifft - vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung im Hauptsacheverfahren - nicht zu.
a) Die Antragsgegnerin ist nicht berechtigt, die erbetenen Auskünfte nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG zu verweigern.
aa) Ein solches Auskunftsverweigerungsrecht steht ihr zunächst nicht aus § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW i. V. m. § 76 Abs. 1 BRAO zu.
Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW besteht ein Anspruch auf Auskunft nach § 4 Abs. 1 PresseG NRW nicht, soweit Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen. Geheimhaltungsvorschriften im Sinne dieser Regelung sind solche, die öffentliche Geheimnisse schützen sollen und zumindest auch auskunftsverpflichtete Behörden zum Adressaten haben. Hierzu zählen u. a. Gesetzesbestimmungen über Staats- und Dienstgeheimnisse. Demgegenüber sind keine Geheimhaltungsvorschriften im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW etwa Normen, die den einzelnen Beamten zur Amtsverschwiegenheit verpflichten (z. B. § 37 BeamtStG, § 67 BBG). Der Auskunftsanspruch richtet sich nämlich nicht gegen den einzelnen Beamten, sondern gegen die Behörde insgesamt, deren Leitung nach den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder der Presse Auskünfte zu erteilen hat (vgl. § 43 LBG NRW).
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. März 2009 - 5 B 1184/08 -, juris Rn. 12 (= NVwZ-RR 2009, 635); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 7. März 2014 - OVG 6 S 48.13 -, juris Rn. 20 (= NVwZ 2014, 1177); Hamb. OVG, Beschluss vom 4. Oktober 2010 - 4 Bf 179/09.Z -, juris Rn. 33 f. (= AfP 2010, 617); Bay. VGH, Urteil vom 7. August 2006 - 7 BV 05.2582 -, juris Rn. 41 (= NVwZ-RR 2007, 767); Burkhardt, in: Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015, § 4 LPG Rn. 109, 114.
Gemessen daran ist § 76 Abs. 1 BRAO keine Geheimhaltungsvorschrift im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW. Die Vorschrift richtet sich nicht an die Rechtsanwaltskammer an sich, sondern normiert (lediglich) eine personenbezogene Verschwiegenheitspflicht für die Mitglieder des Vorstands und Personen, die Aufgaben der Kammer für den Vorstand wahrnehmen. Das ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den Regelungen in § 76 Abs. 2 und 3 BRAO, die sich mit dem Erfordernis einer Aussagegenehmigung und den Voraussetzungen ihrer Erteilung befassen. § 76 Abs. 1 BRAO entspricht damit den allgemeinen beamtenrechtlichen Regelungen über die Amtsverschwiegenheit.
Vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2017 - AnwZ (Brfg) 46/15 -, juris Rn. 10; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 21. August 2014 - OVG 12 B 14.12 -, juris Rn. 19 ff. (= NVwZ-RR 2015, 123), beide im Zusammenhang mit einem Anspruch nach dem jeweiligen Informationsfreiheitsgesetz; Weyland, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 76 Rn. 9.
Sinn und Zweck der Verschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO, eine gedeihliche Arbeit des Kammervorstands zu ermöglichen,
dazu Weyland, in: Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 76 Rn. 2; siehe auch BGH, Urteil vom 11. Januar 2016 - AnwZ (Brfg) 42/14 -, juris Rn. 32 (= NJW-RR 2017, 120),
gebieten keine andere Sichtweise. Dass der Kammervorstand seine Aufgaben nicht zuverlässig erfüllen könnte, wenn betroffene Dritte befürchten müssten, dass Informationen, die ihm etwa in Aufsichts- und Beschwerdesachen oder in Verfahren der Rücknahme bzw. des Widerrufs der Zulassung zugehen, unkontrolliert an andere weitergeben werden könnten, führt nicht zu der Annahme, dass der Kammer als solcher schlechthin die Weitergabe untersagt wäre. Diesem Funktionsinteresse der Kammer kann vielmehr ebenso wie dem damit korrespondierenden Vertrauen der von einer Informationsweitergabe betroffenen Personen, dass ihre gegenüber dem Kammervorstand gemachten Angaben oder personenbezogene Daten nur für die Aufgaben des Kammervorstands verwendet werden, durch die Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 3 PresseG NRW Rechnung getragen werden, die dem Schutz überwiegender öffentlicher und privater Interessen dient.
Abweichendes folgt auch nicht aus dem Urteil des Senats für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof vom 11. Januar 2016 - AnwZ (Brfg) 42/14 -, juris (= NJW-RR 2017, 120). Dieser Entscheidung (siehe dort juris Rn. 22) lässt sich nicht entnehmen, dass die Rechtsanwaltskammer selbst Adressatin der Verschwiegenheitspflicht des § 76 BRAO ist. Aus ihr ergibt sich lediglich (vgl. juris Rn. 23 ff.), dass (auch) die Rechtsanwaltskammer nicht befugt ist, Stellungnahmen des Rechtsanwalts in einem ihn betreffenden Beschwerdeverfahren unbeschränkt weiterzuleiten. Eine solche Weiterleitungsbefugnis besteht danach nur dann, wenn dafür eine rechtliche Grundlage besteht. Das ist mit dem presserechtlichen Auskunftsanspruch aber der Fall.
bb) Das Berufsrecht der Rechtsanwälte sieht entgegen der Auffassung der Beschwerde auch keinen umfassenden Schutz für Personalaktendaten vor, der im Sinne einer Geheimhaltungsvorschrift gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW verstanden werden könnte. Personalakten unterfallen vielmehr der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO. Denn die Bundesrechtsanwaltsordnung enthält hierzu - abgesehen von dem in § 58 BRAO geregelten Akteneinsichtsrecht des Rechtsanwalts in die über ihn geführten Personalakten - keine näheren Bestimmungen.
Vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Januar 2016 - AnwZ (Brfg) 42/14 -, juris Rn. 25 (= NJW-RR 2017, 120).
Der Vertraulichkeitsschutz personenbezogener Daten in der Personalakte des Rechtsanwalts wird daher in Bezug auf Auskunftsansprüche der Presse - wie ausgeführt - über die im Einzelfall vorzunehmende Abwägung nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 PresseG NRW (dazu nachfolgend unter b)) gewährleistet. Soweit danach das Berichterstattungsinteresse das Interesse an der Geheimhaltung derartiger personenbezogener Daten nicht überwiegt, ist die Auskunftserteilung ausgeschlossen.
Vgl. in diesem Zusammenhang auch OVG Berlin- Bbg., Urteil vom 21. August 2014 - OVG 12 B 14.12 - , juris Rn. 27 (= NVwZ-RR 2015, 123).
cc) Daran anschließend dringt der Einwand der Beschwerde, die landesrechtliche Regelung des § 4 PresseG NRW könne die nach Art. 31 GG vorrangigen bundesrechtlichen Bestimmungen der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht überspielen, nicht durch. Es existiert keine Kollisionslage. Wie gezeigt, schließt das anwaltliche Berufsrecht eine Auskunftserteilung weder schlechthin aus noch macht es sie von besonderen Voraussetzungen abhängig, die durch die Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 PresseG NRW ausgehebelt würden.
b) Die Antragsgegnerin kann sich weiterhin nicht auf den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 Nr. 3 PresseG NRW berufen.
Nach dieser Vorschrift besteht kein Auskunftsanspruch, soweit ein schutzwürdiges privates oder ein überwiegendes öffentliches Interesse verletzt würde. Dabei bedarf es hinsichtlich beider Varianten einer umfassenden Abwägung der jeweils zu berücksichtigenden Belange im Einzelfall, in deren Rahmen das Interesse der Presse an der Offenlegung den gegenläufigen Interessen am Unterbleiben der Auskunft gegenüberzustellen ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2013 - 5 A 413/11 -, juris Rn. 126 (= NWVBl. 2014, 232), sowie Beschluss vom 27. Juni 2012 - 5 B 1463/11 -, juris Rn. 40 (= NWVBl. 2012, 480); OLG I.
Beschluss vom 31. Januar 2000 - 2 Ws 282/99 -, juris Rn. 12 (= NJW 2000, 1278).
Ausgehend davon überwiegt auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens das öffentliche Informationsinteresse die gegenläufigen privaten Interessen des Beigeladenen sowie öffentlichen Interessen der Antragsgegnerin.
aa) Der im nordrhein-westfälischen Pressegesetz geregelte Auskunftsanspruch der Presse konkretisiert die grundgesetzlich in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Pressefreiheit. Die freie und unabhängige Presse ist im freiheitlichen demokratischen Staatswesen von besonderer Bedeutung. Sie dient der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und ist in ihrer Eigenständigkeit von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen geschützt. Denn erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zur Information versetzt die Presse in die Lage, die ihr in der freiheitlichen Demokratie eröffnete Rolle wirksam wahrzunehmen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2014 - 1 BvR 23/14 -, juris Rn. 29 (= NJW 2014, 3711), Kammerbeschluss vom 28. August 2000 - 1 BvR 1307/91 -, juris Rn. 13 (= NJW 2001, 503), und Urteil vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, juris Rn. 95 (= BVerfGE 101, 361).
Das zugrunde gelegt hat die Antragstellerin ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an Informationen zu den Gründen für das Erlöschen der Zulassung des Beigeladenen zur Rechtsanwaltschaft dargelegt.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Presse in den Grenzen des Rechts grundsätzlich selbst entscheidet, was sie nach eigenen publizistischen Kriterien des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht. Das "Ob" und "Wie" der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. September 2014 - 1 BvR 23/14 -, juris Rn. 29 (= NJW 2014, 3711), und vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07, 1 BvR 1626/07 -, juris Rn. 42 (= BVerfGE 120, 180), sowie Urteil vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, juris Rn. 95 (= BVerfGE 101, 361); OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2013 - 5 A 413/11 -, juris Rn. 131 f. (= NWVBl. 2014, 232), mit weiteren Nachweisen.
Der Beigeladene ist Landesvorsitzender und Spitzenkandidat der AfD für die Wahlen zum nordrhein-westfälischen Landtag am 14. Mai 2017. Die Partei, die nach aktuellen Umfragen mit einem sicheren Einzug in den Landtag rechnen kann, ist Gegenstand eingehender medialer Berichterstattung. Dementsprechend steht auch der Beigeladene selbst aufgrund seiner herausgehobenen (partei)politischen Funktionen im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass ein gewichtiges öffentliches Interesse auch an der bisherigen beruflichen Tätigkeit des Beigeladenen und den Gründen, die dazu geführt haben, dass er nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassen ist, besteht. Es liegt auf der Hand, dass diese Gründe unter Umständen herangezogen werden können, um die Qualifikation des Beigeladenen für ein politisches Amt journalistisch zu bewerten.
bb) Diesem erheblichen öffentlichen Berichterstattungsinteresse ist das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Beigeladenen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) gegenüberzustellen. Insoweit ist im Ausgangspunkt weder dem Schutzbedürfnis der Persönlichkeit noch der Pressefreiheit verfassungsrechtlich ein Vorrang einzuräumen. Die widerstreitenden Rechtspositionen sind vielmehr nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Entscheidend ist, wie hoch das öffentliche Informationsinteresse an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in private Rechte durch die Offenlegung der begehrten Informationen zu gewichten ist. Ist mit der Auskunft beispielsweise nur ein geringfügiger Eingriff in das Recht eines Privaten verbunden, so bedarf es keines zeitgeschichtlichen Interesses an der Information, um diese als gerechtfertigt anzusehen. Demgegenüber muss das von der Presse verfolgte Interesse umso gewichtiger sein, um eine Auskunft zu legitimieren, je sensibler der Bereich ist, über den informiert wird und je detaillierter und weitergehend die begehrte Auskunft ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2013 - 5 A 413/11 -, juris Rn. 126 f. (= NWVBl. 2014, 232), sowie Beschluss vom 27. Juni 2012 - 5 B 1463/11 -, juris Rn. 40 f. (= NWVBl. 2012, 480); OLG I.
, Beschluss vom 31. Januar 2000 - 2 Ws 282/99 -, juris Rn. 12 (= NJW 2000, 1278); VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10. Mai 2011 - 1 S 570/11 -, juris Rn. 9 (= NVwZ 2011, 958); OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 11. November 2010 - OVG 10 S 32.10 -, juris Rn. 8 (= AfP 2010, 621); Burkhardt, in: Löffler, Presserecht, 6. Aufl. 2015, § 4 LPG Rn. 121, jeweils mit weiteren Nachweisen.
Dabei ist auch die im öffentlichen Leben wahrgenommene Funktion desjenigen, über den die Presse Auskunft begehrt, in die Abwägung einzustellen. Soweit wahre Tatsachen eine Frage von allgemeinem Interesse oder das Auftreten namentlich eines Politikers bzw. einer anderen Person des öffentlichen Lebens betreffen, sind die Privatinteressen regelmäßig weniger schutzwürdig.
Vgl. VerfG Bbg., Beschluss vom 21. April 2005 - 56/04 -, juris Rn. 33 (= LKV 2005, 401); siehe auch ebenso im Sinne eines herabgesetzten Privatschutzes gegenüber Informationsinteressen der Öffentlichkeit bei Politikern EGMR, Urteil vom 4. Juni 2009 - 21277/05 -, NJW 2010, 751, 752; allgemein zur Reichweite berechtigter Informationsinteressen der Öffentlichkeit in Bezug auf Personen des öffentlichen Lebens siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07, 1 BvR 1626/07 -, juris Rn. 60 ff. (= BVerfGE 120, 180).
Nach diesen Maßstäben treten die aus dem Persönlichkeitsrecht folgenden privaten Geheimhaltungsinteressen des Beigeladenen als Person des öffentlichen Lebens hinter das Interesse der Öffentlichkeit an den begehrten Auskünften zurück. Das Verwaltungsgericht hat zunächst zu Recht darauf abgestellt, dass der Beigeladene allein durch die Bekanntgabe des genauen Datums der Löschung in seiner über das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten informationellen Selbstbestimmung nicht zusätzlich nennenswert beeinträchtigt wird, weil aufgrund der Veröffentlichung im KammerReport I.
4/2015 ohnehin bereits bekannt ist, dass seine Zulassung als Rechtsanwalt im dritten Quartal 2015 erloschen ist. Was die weitere Frage angeht, ob die Zulassung zurückgenommen wurde, ob sie ohne oder gegen den Willen des Beigeladenen widerrufen wurde oder ob sie widerrufen wurde, nachdem der Beigeladene auf die Zulassung verzichtet hat, berühren die damit begehrten Informationen nicht dessen Privatsphäre, sondern, da sie in den Bereich der beruflichen Betätigung des Beigeladenen fallen, lediglich die Sozialsphäre. Während die Privatsphäre die private Lebensgestaltung in dem der Öffentlichkeit entzogenen Bereich (z. B. häuslicher Bereich, Ehe und Familie) schützt, umfasst die Sozialsphäre die Beziehung eines Menschen zu seiner Umwelt durch sein berufliches, wirtschaftliches oder sonstiges öffentliches Auftreten. Mit der Sozialsphäre ist mithin das Ansehen des Einzelnen in der Gesellschaft gemeint.
Vgl. dazu etwa Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl. 2013, Art. 2 Rn. 43.
Wegen des Bezugs nach außen ist die Sozialsphäre weniger stark geschützt.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. Januar 2012 - 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09 -, juris Rn. 37 (= NJW 2012, 1500), und vom 14. September 2010 - 1 BvR 1842/08, 1 BvR 2538/08, 1 BvR 6/09 -, juris Rn. 55 (= NJW 2011, 740), sowie Kammerbeschluss vom 21. August 2006 - 1 BvR 2606/04, 1 BvR 2845/04, 1 BvR 2846/04, 1 BvR 2847/04 -, Rn. 35 (= NJW 2006, 3406); Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, 2. Aufl. 2013, Art. 2 Rn. 43 mit weiteren Nachweisen.
Dies führt dazu, dass - worauf bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - wahre Tatsachenbehauptungen, die Vorgänge aus der Sozialsphäre benennen, grundsätzlich hingenommen werden müssen. Denn das Persönlichkeitsrecht verleiht seinem Träger keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre des Betroffenen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht, etwa bei einer unzulässigen Stigmatisierung, sozialen Ausgrenzung oder Prangerwirkung.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 -, juris Rn. 21 (= NJW 2011, 47), und vom 17. Dezember 2002 - 1 BvR 755/99, 1 BvR 765/99 -, juris Rn. 32 f. (= NJW 2003, 1109), sowie Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvR 131/96 -, juris Rn. 45 f. (= BVerfGE 97, 391)
Das ist nicht der Fall, wenn bekannt wird, ob der Beigeladene die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gegen oder ohne seinen Willen verloren hat oder ob er auf sie verzichtet hat. Im Ergebnis Entsprechendes gilt hinsichtlich der Frage, aus welchen der in § 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 1 bis 10 BRAO genannten Gründe die Zulassung des Beigeladenen zur Rechtsanwaltschaft gegebenenfalls zurückgenommen wurde bzw. aus welchen der in § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 bis 9 BRAO genannten Gründe die Zulassung gegebenenfalls widerrufen wurde. Auch die einzelnen gesetzlichen Rücknahme- und Widerrufsgründe betreffen mit Ausnahme von § 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 7, § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO jedenfalls ohne die - von dem Auskunftsbegehren nicht erfasste - Kenntnis der dahinter stehenden Sachverhalte allein die Sozialsphäre. Soweit sie nicht bereits im Ausgangspunkt unverfänglich sind (§ 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 8 und 10, § 14 Abs. 2 Nr. 5, 8 und 9 BRAO) oder nach Lage der Dinge ohnehin auszuschließen sein dürften (§ 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 1 und 2, § 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BRAO), mag mit ihrer Preisgabe im Einzelfall zwar eine mögliche Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruchs des Beigeladenen verbunden sein. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass dem Beigeladenen insoweit ein umfassender Verlust an sozialer Achtung drohte. Umgekehrt können gerade diese Angaben - wie eingangs dargelegt - von hohem öffentlichen Interesse hinsichtlich der Eignung des Beigeladenen für das von ihm angestrebte politische Mandat sein. Anders verhält es sich im Ausgangspunkt lediglich in Bezug auf die Regelungen in § 14 Abs. 1 i. V. m. § 7 Nr. 7, § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO. Sollten Rücknahme bzw. Widerruf der Zulassung des Beigeladenen wegen schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen erfolgt sein, wäre (zumindest primär) dessen Privatsphäre betroffen. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass auch insofern ein ausgeprägtes öffentliches Informationsinteresse besteht. Es drängt sich auf, dass jemand, der aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, auch nicht in der Lage wäre, den Aufgaben und Verpflichtungen als Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen nachzukommen. Der Senat hält es daher mit dem Verwaltungsgericht für gerechtfertigt, das Geheimhaltungsinteresse des Beigeladenen auch hier hinter das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten zu lassen, zumal eine zugrunde liegende Erkrankung als solche nicht konkret offenbart werden würde. Dem steht nicht entgegen, dass die Bewerber um ein Landtagsmandat von Gesetzes wegen keinen Gesundheitsnachweis führen müssen. Dieser Umstand spricht nicht dagegen, im Einzelfall die Informationen, dass ein Wahlbewerber aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein wird, das Mandat erwartungsgemäß wahrzunehmen, der Presse und damit letztlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Schutz der persönlichen Belange des Beigeladenen wird entgegen der Ansicht der Beschwerde schließlich nicht dadurch verstärkt, dass eine offizielle - amtliche - Auskunft der Antragsgegnerin in der Öffentlichkeit besonders Gewicht hätte. Dieser Gesichtspunkt mag insbesondere im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren in Rolle spielen, weil es in diesem Verfahrensstadium zwar zwangsläufig (noch) an einem Schuldnachweis fehlt, gleichwohl jedoch die Gefahr besteht, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt.
Vgl. dazu den von der Antragsgegnerin angeführten Beschluss des VG Stuttgart vom 22. November 2016 - 10 K 7029/16 -, juris Rn. 6.
Darum geht es hier aber schon im Ansatz nicht.
cc) Die Auskunftserteilung verletzt auch keine überwiegenden öffentlichen Belange in Gestalt des von der Antragsgegnerin geltend gemachten Funktionsinteresses. Ob die Antragsgegnerin (auch zukünftig) Presseanfragen beantworten muss, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, bei einem Erfolg der Antragstellerin seien in Zukunft weitere Auskunftsbegehren von Journalisten zu besorgen, ist dies Folge dessen, dass die Antragsgegnerin zu den informationsverpflichteten Stellen gehört und deshalb von Rechts wegen einer grundsätzlichen presserechtlichen Auskunftsplicht unterliegt. Im Übrigen ist weder substantiiert dargetan noch sonst erkennbar, dass hierdurch ein geordneter Geschäftsbetrieb mehr als unwesentlich beeinträchtigt werden könnte.
2. Schließlich hat das Verwaltungsgericht zutreffend das Bestehen eines Anordnungsgrunds für die Erteilung der begehrten Auskünfte bejaht. Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist nötig, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
In Fällen presserechtlicher Auskunftsansprüche darf an die Annahme eines schweren, die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Nachteils kein zu enger Maßstab angelegt werden. Demgemäß ist zwar einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend, dass für die begehrte Auskunft ein gesteigertes öffentliches Interesse vorliegt sowie ein starker Gegenwartsbezug besteht.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2014 - 1 BvR 23/14 -, juris Rn. 25 ff., 30 (= NJW 2014, 3711); BVerwG, Beschluss vom 22. September 2015 - 6 VR 2.15 -, juris Rn. 22 (= NVwZ 2016, 945); OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2017 - 15 B 1289/16 -, juris Rn. 36.
Ein derartiges gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug ergeben sich hier zwanglos mit Blick auf die am 14. Mai 2017 stattfindenden Landtagswahlen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).