Nach erfolgreicher Klage muss dem Journalisten Saure Einsicht in ein Gutachten über die politische Belastung ehemaliger Mitarbeiter des Bundeslandwirtschaftsministeriums in der NS-Zeit gewährt werden, sofern diese bereits verstorben sind. Das entschied heute das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten Verbands: "Das ist ein gutes Urteil für den Journalismus. Das Gericht hat klar gemacht, dass die historische Aufarbeitung im Zweifel wichtiger ist als die Privatsphäre verstorbener Nazi-Beamter. Das zeigt: Der Streit von Journalisten für ihre Auskunftsrechte lohnt sich!“
Der Rechtsstreit bis zum höchsten deutschen Verwaltungsgericht dauerte sechs Jahre. Hintergrund des Verfahrens: Im Jahr 2005 beauftragte die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) ein Gutachten über die Geschichte des Bundeslandwirtschaftsminsteriums und der Vorgängerorganisation. Außerdem sollte die Ehrwürdigkeit und mögliche NS-Vergangenheit von 62 damals noch lebenden, ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums untersucht werden.
Saure beantragte im Jahr 2011 auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes und des Presserechts Einsicht in die Unterlagen. Die Gutachten wurden bis dahin unter Verschluss gehalten. Rechtsanwalt Christoph Partsch, der den Journalisten vertritt: "Das erste Gutachten wurde mit Schwärzungen übergeben, das zweite überhaupt nicht."
Das Oberverwaltungsgericht NRW urteilte vor zwei Jahren, dass Unterlagen über ehemalige Bedienstete, die in dem Gutachten als 'deutlich kritikwürdig' oder 'nicht ehrwürdig' bezeichnet würden oder mindestens drei Jahre tot sind, vom Ministerium herausgegeben werden müssen. Die lebenden Beamten müssten vom Ministerium gefragt werden, ob sie mit der Weitergabe der Informationen aus dem Gutachten einverstanden wären. Selbst dies hatte das Bundesministerium verweigert.
Anwalt Partsch: „Das Urteil stärkt die Pressefreiheit.“
Dieter Graumann, ehemaliger Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland: „Ich finde, es ist eine schmähliche Schande, dass die Offenlegung überhaupt vor Gericht erstritten werden muss. Vollkommen unbegreiflich ist es, wenn das zuständige Ministerium meint, ehemalige NS- belastete Mitarbeiter schützen zu sollen. Das ist eine mehr als fragwürdige und moralisch vollkommen fehlgeleitete Loyalität."
Graumann weiter: „Wer sich im Naziregime schuldig gemacht hat, verdient überhaupt keine Loyalität. Sondern nur Verachtung.“
Einer der 62 ehemaligen Mitarbeiter im Bundesministerium für Landwirtschaft, deren NS-Vergangenheit in dem Gutachten untersucht wurde und geheim bleiben sollte, ist der frühere Staatssekretär Walter Florian. Journalist Saure recherchierte im Bundesarchiv. Florian (Jahrgang 1921) gehörte von 1938 bis 1941 der allgemeinen SS an. Seit dem 10. Januar 1941 war er bei der Waffen-SS, sein letzter Dienstgrad: SS-Standarten Oberjunker. Der ehemalige Staatssekretär, der im Jahr 2010 starb, gehörte zu einem SS-Nachrichten-Ersatz-Regiment, im Dezember 1942 kurzzeitig zur SS-Kampfgruppe Fegelein und ab April 1943 zur 10. SS-Division „Frundsberg“. Das geht aus Unterlagen des ehemaligen Document Centers im Bundesarchiv hervor.
Seltsam: Nachdem das Ministerium seit Jahren hartnäckig die Auskunft zu NS-belasteten ehemaligen Mitarbeitern verweigert, will es die Vergangenheit jetzt aufarbeiten lassen. Im vergangenen Jahr hat das Ministerium eine Historikerkommission einberufen, die die Geschichte des Ministeriums und die mögliche NS-Belastung untersuchen soll.